Kurzübersicht: Diese Systemische Strukturaufstellung (SySt®) befasst sich mit Anjas Patchworkfamilie im Gegenwartssystem. In der Vorprozessarbeit wird Anjas Anliegen geklärt und präzisiert. Im anschließenden Gruppenprozess zeigt sich, wie unklare Rollen und verdeckte Loyalitäten das familiäre Miteinander prägen – und wie gezielte Strukturveränderungen im Modellsystem zu mehr Klarheit und nachhaltiger Entlastung führen können. Dabei werden das Prinzip der Zugehörigkeit, das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung und verschiedene Interventionsformen erläutert.
Schön, dass du heute bei Anjas Strukturaufstellung zur Gegenwartsfamilie dabei bist!
Im letzten Blogbeitrag ging es um die Aufstellung von Bernds Herkunftsfamilie. Dabei habe ich dir einige zentrale Aspekte der Systemischen Strukturaufstellungen nach SySt® vorgestellt – unter anderem:
Falls du diese Grundlagen noch nicht kennst oder dein Wissen auffrischen möchtest, schau gern hier rein: Link
Im aktuellen Beitrag erfährst du heute anhand von Anjas Beispiel mehr über die Strukturaufstellungsarbeit – mit Ausrichtung auf die Gegenwartsfamilie, im speziellen Fall auf eine Patchworkfamilie.
Viel Freude beim Lesen!
Vorab ein wichtiger Hinweis: Die Namen von Personen sowie die dargestellten Situationen und Begebenheiten sind so gewählt, dass sie die Abläufen in der SySt®-Praxis realitätsnah widerspiegeln, ohne jedoch Rückschlüsse auf reale Personen oder Geschehnisse zu ermöglichen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen oder Ereignissen sind daher rein zufällig.
Wie du dich vielleicht aus der Paarberatung von Anja und Bernd erinnerst (siehe hier: Link), bringt Anja einen Sohn aus einer früheren Beziehung mit in die Ehe. Gemeinsam mit Bernd hat sie zwei weitere Kinder. Die Familie lebt mit Bernds Eltern und seinem betreuungsbedürftigen Bruder unter einem Dach – im Umfeld eines traditionsreichen Familienbetriebs, den Bernd vor Kurzem übernommen hat.
Die Herausforderungen dieser Konstellation sind vielschichtig: Anja ist Mutter in einer Patchworkfamilie, eingebunden in ein eng verflochtenes Familienunternehmen und berufstätig als Sonderpädagogin.
Die daraus entstehenden Spannungen – in der Partnerschaft, im Familienleben und im Betrieb – wurden bereits in einer Paarberatung mit Elementen der Strukturaufstellung beleuchtet.
Einige Zeit später stellte Bernd seine Herkunftsfamilie in der Gruppe auf (siehe hier: Link).
Nun ist Anja an der Reihe – mit einer Strukturaufstellung ihrer Gegenwartsfamilie. Bevor wir gemeinsam zu Anjas schauen, möchte ich dir kurz zeigen, worauf diese Methode beruht.
Familienstrukturaufstellungen nach SySt® basieren auf grundlegenden Prinzipien der traditionellen Familienarbeit, die von Matthias Varga von Kibéd systemisch-konstruktivistisch weiterentwickelt wurden. Ein zentrales Prinzip ist dabei die Zugehörigkeit, die als wertungsfreie, systemtheoretisch fundierte Ordnung innerhalb und zwischen Familiensystemen verstanden wird (siehe hier: Link).
Bei Familienstrukturaufstellungen wird dabei zwischen zwei Arten der Reihung unterschieden:
Dabei dienen diese Reihungen nicht als starre Regeln, sondern als vorläufige Hypothesen. Entscheidend ist, ob sie sich im Verlauf der Aufstellung für die Klientin oder den Klienten stimmig und unterstützend anfühlen.
Im Fall von Anjas Patchworkfamilie zeigt sich das Prinzip der systemischen Orientierung ganz konkret:
Was auf den ersten Blick logisch und selbstverständlich wirkt, ist im inneren Erleben oft weniger klar. Häufig geraten solche „inneren Ordnungen“ unbewusst durcheinander. Aus heuristische Sicht kann genau das spürbare Auswirkungen im Alltag haben.
Denn: Wer sich nicht an seinem „richtigen Platz“ im Familiensystem fühlt, zeigt das oft – ohne es zu merken – durch bestimmte Verhaltensweisen. Das wird oft als tieferliegende Spannung in der Familie erlebt und führt nicht selten zu Missverständnissen, Irritationen oder offenen Konflikten.
Anja vermutet, dass auch in ihrem Erleben von Familie etwas nicht stimmig ist. Sie spürt eine diffuse Unruhe im Familiensystem – ein Gefühl, dass „etwas nicht rund läuft“, obwohl sich alle um ein gutes Miteinander bemühen.
Neben ihrer Verantwortung im Familienbetrieb fühlt sie sich zunehmend hin- und hergerissen – zwischen ihrem Mann und ihren drei Kindern aus zwei Beziehungen. Für sie ist dieses innere Spannungsgefühl ein möglicher Hinweis darauf, dass etwas „angeschaut“ und neu sortiert werden möchte.
In der Vorprozessarbeit (siehe hier: Link) klären wir, was sich Anja von der Familienstrukturaufstellung erhofft und welche Themen ihr besonders wichtig sind. Im Zentrum stehen für sie folgende Fragen:
Dabei geht es immer um Anjas persönliche Sicht auf das Familiensystem – und nicht um eine objektive „Wahrheit“.
1. Das Einzelvorgespräch
Vor dem Einstieg in den Strukturaufstellungsprozess führe ich mit Anja ein kurzes Einzelvorgespräch. Auf diese Weise bleiben die Repräsentierenden frei von inhaltlichen Vorannahmen über ihr Anliegen (siehe hier: Link).
2. Das erste Bild – die erste Befragung
Anja wählt zunächst Repräsentierende für die Elemente ihres Familiensystems aus, die für ihr heutiges Anliegen im Mittelpunkt stehen. Die Auswahl haben wir zuvor gemeinsam erarbeitet und am Flipchart festgehalten: ihr eigener Fokus, ihr Sohn aus einer früheren Beziehung, dessen Vater, ihr Partner Bernd sowie die beiden gemeinsamen Töchter.
Anschließend beginnt Anja, ihrer intuitiven Wahrnehmung folgend die Repräsentierenden im Raum aufzustellen – beginnend mit ihrem eigenen Fokus.
Ihren Sohn platziert sie nahe bei sich, mit etwas Abstand zu den anderen Kindern. Der Vater des Sohnes steht am Rand, mit dem Blick zur Wand. Bernd steht nahe bei den beiden gemeinsamen Töchtern.
Die erste Befragung ergibt folgende repräsentierenden Wahrnehmungen:
3. Intervention und Prozessverlauf
Ausgehend vom ersten Bild und den Rückmeldungen der Repräsentierenden nehme ich im weiteren Verlauf schrittweise Veränderungen in der Konstellation vor. Grundlage dafür ist das bereits erwähnte heuristische Prinzip der Zugehörigkeit, das insbesondere dann Orientierung bietet, wenn Unstimmigkeiten oder Ausschlüsse im System sichtbar werden.
Konkret geht es in dieser Phase um die Klärung folgender Aspekte:
Die Interventionsschritte erfolgen in Übereinstimmung mit der Grammatik der Systemischen Strukturaufstellungen, die den methodischen Rahmen für die Interventionen bildet.
Ziel ist es, die familiäre Struktur so zu ordnen, dass jedes Systemmitglied einen Platz einnehmen kann, der sich aus seiner Perspektive stimmig und zugehörig anfühlt.
4. Das Schlussbild
Das Schlussbild zeigt eine deutlich verbesserte Balance im repräsentierten Familiensystem: Zugehörigkeiten und Beziehungen können neu erlebt werden.
Die Wahrnehmungen der Repräsentierenden während des Aufstellungsprozesses sind für Anja überwiegend sehr stimmig, manches davon berührt sie tief.
Das abschließende Bild, in das sie sich unter meiner Anleitung selbst neben ihren Fokus gestellt hat, erlebt sie als „überraschend ruhig und verbunden“ – eine Qualität, die ihr im Alltag bisher oft gefehlt hat. Sie sagt, dass sie zentrale Impulse mitnehmen kann, die sie nun im familiären wie auch im beruflichen Alltag erproben möchte.
Bevor wir gemeinsam schauen, was sich bei Anja bis zu unserem Nachgespräch verändert hat, möchte ich dir wieder ein paar methodische Hintergrundinfos geben. Denn vielleicht hast du dich nach der Beschreibung des Strukturaufstellungsprozesses gefragt: „Was genau ist eigentlich `repräsentierende Wahrnehmung´ – und wie funktioniert das Ein- und Entrollen der Repräsentierenden?“
Hier ein kurzer Überblick:
In Systemischen Strukturaufstellungen wählt die Klientin oder der Klient die Repräsentierenden aus. Das Einrollen und Aufstellen erfolgt in einer Haltung der umfokussierten Aufmerksamkeit, angeleitet durch die Aufstellungsleitung.
Dabei machen Repräsentierende eine besondere Erfahrung: Beim Einrollen – also dem Übernehmen der Repräsentanz für ein bestimmtes Element – verändert sich oft spontan ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung. Manchmal geschieht das auch schon bei der Auswahl, spätestens aber beim Einnehmen der Position im Raum.
Plötzlich fühlt sich der Körper anders an, es tauchen neue Emotionen auf. Wer eben noch gestresst war, spürt womöglich Ruhe – oder umgekehrt. Diese sogenannten „repräsentierenden Empfindungen“ zeigen sich auch oft körperlich: zum Beispiel als Druck, Hitze oder verändertes Größenempfinden. Sie sagen aber nichts über die repräsentierende Person selbst aus, sondern sie beziehen sich ausschließlich auf das dargestellte Element im Modellsystem.
Diese Empfindungen bilden in ihrer Gesamtheit die repräsentierende Wahrnehmung. Sie gibt Aufschluss, ob sich die Beziehungen im Modellsystem aus Sicht der Klientin oder des Klienten in Richtung besser oder schlechter verändern, gleichbleiben oder einfach anders sind. Deshalb werden die Repräsentierenden auch nicht gefragt: „Wie geht es dir hier?“, sondern: „Was ist hier anders?“
Wesentlich ist, dass die repräsentierende Wahrnehmung nicht bei, sondern zwischen den Repräsentierenden entsteht – unabhängig vom Wissen über die Geschichte der Klientin oder des Klienten. Wir sagen: Die repräsentierende Wahrnehmung ist nicht einzelpersonenspezifisch, sondern ein Gruppenphänomen.
Diese Form des Wahrnehmens ist keine besondere Fähigkeit, sondern etwas zutiefst Menschliches. Sie stellt sich ganz von selbst ein – und mit etwas Erfahrung wird das Gespür dafür immer feiner. Viele empfinden das auch im Alltag als bereichernd.
Nach der Systemischen Strukturaufstellung löst sich die repräsentierende Wahrnehmung meist rasch wieder auf. Das bedeutet: Wer aus seiner Rolle heraustritt, spürt in der Regel spontan wieder die eigene Körperwahrnehmung.
Trotzdem ist ein bewusstes Aussteigen wichtig. Dieses sogenannte Entrollen wird sprachlich begleitet, sodass ein klarer Übergang zurück in die eigene Wahrnehmung möglich ist.
Bleibt doch bei jemandem etwas von der Rolle „hängen“, unterstützen angeleitete Rückgaberituale beim bewussten Loslassen. Dabei wird unterschieden:
Manchmal ist es eine Mischung aus beidem. Umso wichtiger ist es,
Vielleicht interessiert dich auch, welche Arten von Interventionen Aufstellungsleitende im Verlauf einer Systemischen Strukturaufstellung einsetzen. Bevor wir wieder zu Anja zurückkommen, möchte ich sie dir kurz vorstellen. Denn in Systemischen Strukturaufstellungen gibt es vier grundlegende Arten von Interventionen, die sich in der Praxis oft überschneiden.
In der anschließenden Einzelberatung zur Nachbesprechung entwickelt Anja mit meiner Unterstützung erste Schritte, um die Ergebnisse der Familienstrukturaufstellung im Familienalltag umzusetzen. Besonders wichtig ist ihr dabei:
Damit sind wir für heute am Ende. Beim nächsten Mal begleite ich dich zu einer Systemischer Strukturaufstellung, in der es um Persönlichkeitsanteile bzw. innere Seiten geht. In diesem Zusammenhang werfen wir einen Blick auf den lösungsfokussierten und den hypnosystemischen Ansatz innerhalb der SySt®-Arbeit.
Ich freue mich, wenn du wieder dabei bist!
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Boszormenyi-Nagy Ivan & Geraldine M. Spark:
Sparrer Insa:
Insa Sparrer Insa & Matthias Varga von Kibéd:
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