Inhaltliche Kurzübersicht:
Anja und Bernd stehen als Paar und im Familienunternehmen vor Herausforderungen. Während Bernd das Gasthaus seiner Familie leitet, fühlt sich Anja zwischen ihrer Arbeit als Sonderpädagogin und den Erwartungen der Familie hin- und hergerissen. In einer Paarberatung mit SySt®-Methoden reflektieren sie ihre Rollen, Strukturen und Beziehungen. Durch Visualisierungen und Strukturaufstellungsprozesse gewinnen sie neue Einsichten, die ihnen helfen, Klarheit zu schaffen und ihre Beziehung zu stärken.
Im letzten Blogbeitrag hast du einige Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der Systemischen Strukturaufstellungen nach SySt® kennengelernt (siehe hier: Link). Heute lade ich dich ein, mir in die SySt®-Praxis zu folgen – mit Anja & Bernd und dem Familienunternehmen.
Vorab ein wichtiger Hinweis:
Die Namen von Personen sowie die dargestellten Situationen und Begebenheiten sind so gewählt, dass sie die Abläufen in der SySt®-Praxis realitätsnah widerspiegeln, ohne jedoch Rückschlüsse auf reale Personen oder Geschehnisse zu ermöglichen. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen oder Ereignissen sind daher rein zufällig.
Und jetzt zu Anja und Bernd:
Die beiden sind seit fast zehn Jahren verheiratet, sie haben zwei gemeinsame Kinder im Volksschulalter. Anja bringt einen Sohn aus einer früheren Beziehung mit, der überwiegend in der Patchworkfamilie lebt.
Bernd führt seit einem Jahr das Familienunternehmen, einen Gasthof in dritter Generation, der ursprünglich von seinen Großeltern als kleines Wirtshaus gegründet wurde. Mit viel Engagement haben seine Eltern im Laufe der Zeit den Betrieb zu einem renommierten Gasthof-Restaurant aufgebaut. Bernd erhielt die Leitung, nachdem sich sein Vater krankheitsbedingt zurückgezogen hatte, während seine Mutter weiterhin aktiv mitarbeitet.
Die ganze Familie lebt im Haus, so auch Bernds älterer Bruder, der seit einem Unfall in der Jugend nur eingeschränkt leistungsfähig und auf Betreuung angewiesen ist. Er ist in die Tätigkeiten im Gastbetrieb eingebunden.
Anja, ebenfalls aus einem Familiengastbetrieb stammend, entschied sich neben ihrer Tätigkeit im Gastgewerbe für ein berufsbegleitendes Studium zur Sonderpädagogin. Nach Abschluss verließ sie den elterlichen Betrieb, um in diesem Beruf weiterzuarbeiten. Sie trennte sich vom Vater ihres ersten Kindes und lernte kurz danach Bernd kennen. Die beiden kamen sich schnell näher, verbunden durch ihre gemeinsamen Interessen. Schon bald beschloss Anja, mit ihrem Sohn zu Bernd und dessen Familie zu ziehen. Später heirateten die beiden und bekamen zwei weitere Kinder.
Anja arbeitet heute Teilzeit als Sonderpädagogin in einer Schule, und als gelernte Gastronomiefachfrau übernimmt sie auch Aufgaben im Gasthof.
Einstieg und Setting:
Anja und ich lernen uns bei einer Teamsupervision in der Schule kennen. Einige Zeit später meldet sich Anja aus einem anderen Grund bei mir: Sie vereinbart einen Termin für eine Paarberatung mit ihrem Mann Bernd. Wir planen dafür zwei Sitzungen à zwei Stunden an aufeinanderfolgenden Tagen.
Anjas Thema:
In der ersten Sitzung erzählt Anja, dass sie sich von der Vielfalt an Aufgaben überfordert fühlt. Sie wünscht sich mehr Unterstützung von Bernd, doch vergeblich. Stattdessen erwarten Bernd und seine Eltern, dass sie ihre schulische Tätigkeit aufgibt und sich stärker im Familienunternehmen engagiert. Kurz erwägt sie diesen Schritt, doch sie spürt, dass das nicht ihrem Lebensplan entspricht. Außerdem haben sich zwischen ihr und Bernd auch schon andere Spannungen aufgebaut. Sie wirft Bernd vor, sich zu wenig von seinen Eltern abzugrenzen, und auch ihr älterer Sohn sowie ihr Ex-Partner belasten die Beziehung.
Bernds Sicht:
Bernd verteidigt seine Eltern, stimmt ihnen aber nicht in allem zu. Er fühlt sich sowohl von den Eltern als auch von Anja unter Druck gesetzt, ist unzufrieden und weiß oft selbst nicht, wo er steht und was er will. Der Betrieb fordert ihn stark, und er wünscht sich mehr Unterstützung von Anja – sowohl im Geschäft als auch mit den Kindern. Als Patchwork-Vater fühlt er sich überfordert. Besonders belastet ihn die fehlende Nähe zu Anja – Streit scheint das Einzige zu sein, was sie noch verbindet.
Anja & Bernds Ziele:
Das Paar möchte Klarheit in die vielschichtigen Probleme bringen, um wieder näher zueinander zu finden, familiäre Konflikte zu entschärfen und den Betrieb erfolgreich weiterzuführen.
Systemisch betrachtet erstrecken sich die angesprochenen Themenbereiche von Anja und Bernd über verschiedene strukturelle Ebenen: Herkunfts- und Gegenwartsfamilie, Unternehmen und Schule.
Am Flipchart mache ich den beiden deutlich, dass sie auf diesen Ebenen nicht als „ganze Menschen“ agieren, sondern jeweils als Mitglieder verschiedener sozialer Systeme. Die einzelnen Strukturen laufen jedoch immer beim „ganzen Menschen“ zusammen. (Diese Beschreibung entspricht dem Konzept von Kurt Ludewig – eine von vielen Möglichkeiten, soziale Systeme zu beschreiben.)
Im Alltag nehmen wir diese Überschneidungen meist nicht bewusst wahr – sie funktionieren scheinbar selbstverständlich. Wenn aber Probleme in einer oder mehreren Beziehungen auftreten, ist es sinnvoll, die einzelnen Zugehörigkeiten genauer zu betrachten und gegebenenfalls in einer Strukturaufstellung sichtbar zu machen.
Der Begriff Strukturebene veranschaulicht, dass eine Person in unterschiedlichen Bereichen eingebunden ist – sei es beispielsweise in familiären Beziehungen, im Beruf, im Unternehmen, im Sportverein oder in der Gemeinde – und natürlich stets im eigenen körperlichen und psychischen Erleben.
Für den SySt®-Prozess bedeutet das: Wenn eine Beziehungsstruktur – zum Beispiel eine Familie – aufgebaut wird, können auch andere Lebensbereiche berührt werden, wie der Arbeitsplatz, der Körper, Werte oder Überzeugungen. Diese Bereiche lassen sich als parallele Strukturebenen verstehen, die im inneren Erleben bewusst oder unbewusst miteinander verbunden sind.
Manchmal beeinflussen sich diese Ebenen gegenseitig – dann sprechen wir von Resonanzebenen. Obwohl sie gleichzeitig wirken können, werden sie in der Aufstellung oft nicht direkt benannt, um den Anliegenbringenden Raum für eigene Deutungen zu lassen. Daher spricht man auch von Deutungsebenen.
Womit klar wird: In den SySt® werden keine „Systeme“ aufgestellt (was immer darunter verstanden wird), sondern immer spezifische Beziehungsstrukturen. Deshalb wird hier von Strukturaufstellung und nicht von Systemaufstellung gesprochen.
Da in einer Strukturaufstellung mehrere Ebenen gleichzeitig zugänglich sind, kann die Leitung im Prozess zwischen diesen Ebenen wechseln. Ein solcher Strukturebenenwechsel ist typisch für die SySt®. Dieser Wechsel kann offen benannt oder ohne ausdrückliche Erwähnung erfolgen.
Für Anja und Bernd ist die Darstellung der Überschneidung verschiedener Themenbereiche und Strukturebenen ein erster hilfreicher Schritt. Sie beschließen, sich damit weiter auseinanderzusetzen.
In der ersten Sitzung nutzen sie dafür das Systembrett. Dort platzieren sie Figuren für sich und wichtige Bezugspersonen, sodass verschiedene Beziehungskonstellationen entstehen. Der Vorteil dieser Visualisierung ist, dass beide das gleiche Bild vor Augen haben, über das nun gemeinsam reflektiert werden kann.
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend gehen Anja und Bernd am nächsten Tag einen Schritt weiter: Sie markieren am Boden Bereiche für die Strukturebenen Herkunfts- und Gegenwartsfamilie, Unternehmen und Schule. In diesen Kontexten repräsentieren sie sich und andere relevante Personen durch Figuren, die sie auf Sessel stellen und entsprechend anordnen. Auf diese Weise ergeben sich mehrere wechselseitige Bezogenheiten.
Anschließend nehmen Anja und Bernd die verschiedenen, mit Sessel und Figuren dargestellten Positionen selbst ein. So können sie ganzkörperlich wahrnehmen, wie sich ihre Beziehungsstrukturen unterscheiden – sei es als Ehepaar, Unternehmerpaar oder in Bezug auf ihre Herkunfts- und Gegenwartsfamilie – und welche zirkulären Auswirkungen sich daraus ergeben.
In der gemeinsamen Reflexion halten Anja und Bernd fest, dass ihnen folgende Aspekte bewusst geworden sind:
Und auch für sich ganz persönlich haben Anja und Bernd wichtige Einsichten gewonnen:
Somit gehen Anja und Bernd am Ende der zweiten Sitzung mit einem erweiterten neuen Horizont, mehr Durchblick und Ideen zur Beziehungsgestaltung nach Hause, wie sie mir rückmelden. Sie sind optimistisch, einiges davon schon bald im Alltag umsetzen zu können – und sie möchten weiterhin an sich zu arbeiten. Dafür haben sie sich entschieden, eine SySt®-Gruppe zu besuchen.
Wir können Anja und Bernd also noch ein Stück auf ihrem Weg begleiten. Hier eine Vorschau auf die nächsten drei Beiträge:
Ich freue mich, wenn du wieder dabei bist!
Klicke direkt ins Bild oder hier: Kontakt
Insa Sparrer:
Insa Sparrer & Matthias Varga von Kibéd:
Kurt Ludewig:
Ursula Vorhemus: